Europawahl: AfD profitiert von komplexer Sprache der anderen
Die AfD nutzt klare Sprache, um das Vertrauen von Wählern zu gewinnen. Die anderen Parteien könnten ihr zuvorkommen und die Kommunikation verständlicher gestalten. Die Linke ist auf einem guten Weg.
Transparenz schafft Vertrauen. Äußerst brisant: Einer der verständlichsten Redner im Bundestag ist laut einer Studie von der AfD – und auch in der schriftlichen Kommunikation verschafft sich die Partei Vorteile. Die anderen Parteien heben sich bei der Transparenz ihrer Sprache nicht genug von der AfD ab, So entstehen im Wahlkampf gegen Rechts Nachteile.
„Bestes Mittel gegen AfD ist verständliche Politik“, sagte Berlins Bürgermeister Wegner im Februar. „Politik müsse die Sorgen und Nöte der Menschen wirklich aufnehmen, das politische Handeln müsse verständlich erklärt werden.“, zitiert die ZEIT Wegner. Wie gut werden die Parteien diesem Ziel gerecht?
AfD kommuniziert am verständlichsten – außer im Wahlprogramm
„Wir untersuchten die Wahlprogramme zur Europawahl 2024 mit dem WORTLIGA Lesbarkeitsindex. Die Kommunikation war durchweg schwer, auch die der AfD“, sagt Gidon Wagner von WORTLIGA. Bei den Webseiten-Texten zu ihrem Europawahlprogramm sticht die AfD mit 52 Prozent Lesbarkeit allerdings am verständlichsten hervor. „Wie bei den Reden im Bundestag, hat auch hier die AfD bei der Verständlichkeit die Nase vorn“, sagt Gidon Wagner. „Viele Menschen haben wenig Zeit oder sind von der überwältigenden Länge der Wahlprogramme überfordert. Deshalb lesen sie Zusammenfassungen. Hier baut die AfD momentan besser Vertrauen auf.“
Keine Partei erklärt ihr Programm zur Europawahl klar genug
Bei den Analysen erreichte das Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen gerade einmal 25,5 Prozent Lesbarkeit. Die SPD und die FDP erreichten jeweils 32 Prozentpunkte. Das im Vergleich beste Ergebnis fanden die Autoren bei “Die Linke” mit 36,2 Prozent. Vorletzte ist Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit 25 Punkten im Lesbarkeitsindex. Die AfD formuliert ihr Wahlprogramm mit 23,5 Prozent Lesbarkeit.
Ranking: Wie verständlich fassen Parteien ihre Wahlprogramme zusammen?
Platz 1: AfD: 52 %
Platz 2: Die Linke: 51 %
Platz 3: Bündnis90/Die Grünen: 50 %
Platz 4: SPD: 49 %
Platz 5: FDP: 47 %
Platz 6: BSW: 44 %
Ranking: Wie verständlich sind Wahlprogramme zur Europawahl 2024?*
Platz 1: Die Linke: 36,2 %
Platz 2: FDP: 32 % und SPD 32 %
Platz 4: Bündnis 90/Die Grünen: 25,5 %
Platz 5: BSW: 25 %
Platz 6: AfD: 23,5 %
*Von einigen Parteien sind zum Zeitpunkt der Analyse noch keine Wahlprogramme verfügbar, darunter CDU/CSU.
Bürgernahe Kommunikation: Verständliche Sprache vermittelt Kompetenz
Klare Sprache schafft eine Verbindung zwischen Parteien und Wählern. Umfragen zeigen: 84 Prozent der Menschen vertrauen Organisationen mehr, die einfach kommunizieren.3 Wer klar schreibt, wirkt zudem intelligenter. Verständlich zu kommunizieren bedeutet also auch, Kompetenz zu vermitteln. Dazu kommt: Selbst 81 Prozent der Akademiker und Abiturienten fühlen sich von schwerer Rechts- und Verwaltungssprache in Deutschland überfordert.4 „Klare Kommunikation ist für Parteien wichtiger denn je – und machbar. Denn KI spart viel Arbeit. Natürlich müssen weiterhin Profis den Feinschliff an Texten machen. Es ist aber keine hohe Kunst mehr, Informationen in eine ansprechende Sprache zu übersetzen.“, sagt Gidon Wagner.
Politiker-Sprache ist ein Problem für den Journalismus
Stichproben von WORTLIGA bei den Pressemitteilungen von Ende Februar und Anfang März ergeben bei allen großen Parteien, dass sie zu kompliziert kommunizieren. Journalisten verstehen den Jargon zwar, aber die Parteien fördern damit, dass die Sprache in der politischen Berichterstattung kompliziert bleibt.
Deutschlandfunk-Nachrichtenchef Dr. Marco Bertolaso sagte im März 2023 dazu: „Der Informationsjournalismus soll die Gegenstände einer Kontroverse und die Standpunkte politischer Akteure nachvollziehbar machen. Für dieses Ziel wäre eine verständlichere Sprache von Abgeordneten, aber auch von Ministerien und Behörden eine große Hilfe.“
Auch die Tagesschau ringt mit Politiker-Jargon
Dieses Problem bestätigen auch Untersuchungen der WORTLIGA für die Tagesschau: „Bei unseren Analysen für ARD-aktuell wurde deutlich, dass Journalisten auf klare Mitteilungen angewiesen sind. Denn im Tagesgeschäft fehlt die Zeit, Politik-Jargon in normale Sprache zu übersetzen. Dass fast keine Partei bei den aktuellen Pressemitteilungen von Februar und März einen Lesbarkeitswert von 50 erreicht, gibt zu denken“, sagt Gidon Wagner. Ausnahme ist die FDP, die für ihre Mitteilungen zum Teil das Frage-Antwort-Format wählt und durch den Interview-Charakter eine natürlichere Sprache nutzt. Sie erreichte bei ihren Pressemitteilungen vom Februar Werte von bis zu 68 Prozent im WORTLIGA Lesbarkeitsindex.
Bundeszentrale für politische Bildung schließt die Mehrheit aus
Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) bietet laut Bundestag Hilfe für alle Bürger beim Verständnis von Politik. Jedoch sind die Informationen auf ihrer Website zu komplex. Zum Thema „Rechts“ erreichen die Artikel und Glossar-Einträge nur eine durchschnittliche Lesbarkeit von 32 Prozent. Das erschwert den Zugang für die meisten Bürger. WORTLIGA untersuchte dafür die im Google-Ranking zehn wichtigsten Seiten von bpb.de zum Keyword „Rechts“.
Bei der bpb gibt es zwar Inhalte in „Leichter Sprache“, diese stark vereinfachte Sprachversion ist aber nur für Menschen mit Lernschwierigkeiten gedacht. Die Mehrheit findet selten verständliche Online-Informationen bei der bpb. „Beim Prüfen der Inhalte hatten wir den Eindruck: Bei der bpb schreiben Politikwissenschaftler für ihresgleichen, nicht für die Allgemeinheit“, sagt Wagner.
Mehr Klartext: Eine Chance für politische Kräfte
„Politische Kommunikation in Deutschland verwirrt mehr, als zu informieren. Menschen wie Trump oder Parteien wie die AfD überzeugen Wähler regelmäßig mit umstrittenen, aber prägnanten Aussagen. Um dem mehr entgegenzusetzen, würde der Politik und der öffentlichen Verwaltung mehr Klarheit helfen – eine bürgernahe Kommunikation“, sagt Gidon Wagner.
Gidon Wagner
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